Marxloh. Duisburg-Marxloh. Stadtteil im Duisburger Norden, knapp 20.000 Einwohner:innen. Seit den 80er Jahren, der Schließung der Zechen und dem Niedergang der Stahlindustrie, hat Marxloh mit einem demografischen Wandel, Arbeitslosigkeit, Leerstand und Armutsmigration zu kämpfen. Ca. 70 Prozent der Einwohner:innen haben Zuwanderungshintergrund, ein Großteil türkische Wurzeln. Neben sozialen Problemen entsprechen auch bauliche Rahmenbedingungen nicht mehr den heutigen Standards eines Vorzeigeviertels. Die Anbindung an die Innenstadt ist zwar durch die nahegelegene Autobahn und den öffentlichen Nahverkehr gegeben, jedoch führen die angrenzende Thyssen-Krupp-Anlage im Westen, die verwaiste Zinkhütten-Siedlung sowie das brachliegende Stadtbad im Süden dazu, dass Marxloh geografisch abgeschnitten ist. Die Bevölkerungsstruktur ist ethnisch zwar sehr durchmischt, jedoch nicht in Bezug auf ihre Bildungs- und Einkommensstruktur. Die meisten Einwohner:innen arbeiten – wenn überhaupt – im Niedriglohnsektor oder gehen eigenständigen Tätigkeiten nach, u.a. im Stadtteil selbst – was den Inselstatus von Marxloh unterstreicht: Hier zieht heue kaum einer mehr freiwillig hin und die die da sind, bewegen sich kaum weg. Doch wo Probleme sind, da ist Reibung, und durch Reibung entsteht Energie, die Glanz entfaltet…
Aus der Perspektivlosigkeit heraus haben die Deutsch-Türke:innen den Stadtteil neu erfunden und ihren Lebensumständen angepasst. In den vergangenen 10 Jahren hat sich Marxloh zu einem internationalen Mekka für türkische Brautmode und Hochzeitsbedarf entwickelt, das selbst türkisch-stämmige Käufer:innen aus dem benachbarten Belgien und den Niederlanden anzieht. Die Weselerstraße, an der sich über 50 Geschäfte für Brautmode- und Hochzeitsbedarf dicht an dicht drängeln wurde zur „romantischsten Straße Europas“ umfunktioniert und hat damit dem Strukturwandel und dem darauf folgenden demografischen Wandel vielerorts im Ruhrgebiet, getrotzt. Zahlreiche Restaurants und Spezialitätengeschäfte verköstigen das einkaufsfreudige Publikum. An Wochenenden zaubert das bunte und lebhafte Treiben auf der Straße südländisches Flair in den nördlichen Stadtteil Duisburgs – eine besondere Atmosphäre, die bereits zahlreiche Fernsehteams angelockt hat, die über die türkische Hochzeitskultur berichten.
Dennoch nagt an dem Stadtteil sein negativer Ruf. Bekannt ist Marxloh bundesweit nicht für das, was die Migrant:innen aus eigener Kraft im Stadtteil geschaffen haben, sondern vor allem für seine Probleme. Und die gibt es zweifelsohne. Denn natürlich profitiert nicht jeder im Stadtteil vom wirtschaftlichen Aufschwung der Brautmodenmeile. Aufgrund der hohen Armut, der niedrigen Bildung, den kulturellen Unterschieden und dem unkontrollierten Handeln krimineller Banden gibt es auch viel Misstrauen und Stress im Stadtteil. Vor allem staatliche Institutionen fühlen sich oft überfordert.
Seit Anfang 2014, der Öffnung der EU-Grenzen nach Südosteuropa, ist Marxloh mit weiteren Herausforderungen konfrontiert: Die ungebremste Armutszuwanderung aus Osteuropa hat das soziale Gefüge des Stadtteils auf eine neue harte Probe gestellt, neue Kulturen in den Stadtteil gebracht. Von Polizeigewerkschaften und Medien wurde Marxloh gar als No-Go-Area bezeichnet und muss wieder und wieder als Musterbeispiel für misslungene Integration von Zuwanderern herhalten. Ein Thema, das sogar Angela Merkel persönlich im Rahmen ihrer Tour „Gut leben in Deutschland“ 2015 nach Marxloh lockte.
Wir, das Kollektiv, das hinter der „Made in Marxloh„-Kampagne steht, sind keine Sozialarbeiter:innen. Wir sind Medienmacher:innen. Unsere Werkzeuge sind keine Projekte, die die politischen und gesellschaftlichen Versäumnisse der letzten 50 Jahre Migrations-Geschichte Deutschlands auszubessern versuchen, unser Werkzeug sind Bilder und Geschichten. Geschichten, die der geballten Negativresse etwas entgegensetzen und das schlechte Image Marxlohs und seiner Bewohner:innen aufpolieren. Denn wichtig für die Marxloher:innen, vor allem für die Kinder und Jugendlichen, ist es trotz der Stigmatisierung des Stadteils und seiner Bewohner:innen und damit einhergehenden Vorurteilen, z.B. bei der Ausbildungsplatz- oder Wohnungssuche, ein starkes Selbstbewusstsein und eine verbindende Identität zu entwickeln. Eine Identität, die stark macht vor Diskriminierung und dem Sog krimineller Banden schützt.
Ähnlich wie die Brautmodenmeile ist auch „Made in Marxloh“ aus der Not geboren. Wir finanzieren uns zum Großteil aus Eigenmitteln und bedienen uns daher ebenso einfacher, wie effektvoller Ideen. Unsere Passion ist es, mit unserer Expertise aus dem PR- und Medienbereich den Menschen in Marxloh zu helfen, trotz all der vorhandenen Probleme und Missstände, eine gemeinsame „Marke“ zu werden, auf die es sich lohnt stolz zu sein. Eine Kraft, die dem Pessimismus von Medien und Politik trotzt! „Made in Marxloh“ steht für die Anerkennung von Vielfalt und ist eine Auszeichnung für den Erfindungsgeist und die Energie der Marxloher:innen. Auf vorhandene Missstände, Probleme und Diskrepanzen blicken wir mit einem Augenzwinkern und kreieren Geschichten, die einen Perspektivwechsel erzeugen. Sowohl nach innen, als auch nach außen.
Beispielhafte Projekte, die das „Made in Marxloh“-Label und das Gefühl, für das es steht, erlebbar machen sind eine eigene Produktserie mit Jutebeuteln, Handy-Pads, Bällen und ein eigenen Stadtteil-Kalender, das Onlineportal Marxloh.biz, der Einsatz für die Stadtteilbeleuchtung und die Einrichtung einer liebevollen Villa für private Feiern oder Workshops im Medienbunker, unserem Headquater. Hier hat beispielsweise auch das Vorbereitungstreffen für den Besuch von Angela Merkel in Marxloh stattgefunden. Wir sind die Pressestelle für den Stadtteil und zeigen Journalist:innen, politischen Akteur:innen und auch interessierten Bürger:innen das „reale Marxloh“ hinter den Schlagzeilen. 2014 sorgten wir in Kooperation mit den Wirtschaftsbetrieben Duisburg mit einer Anti-Müll-Kampagne für mediales Aufsehen. Ziel war es, mit Straßentattoos die Bewohner für die Müllproblematik im Stadtteil zu sensibilisieren.
Ich unterstütze die Kampagne seit 2012 mit Ideen, Konzepten, Texten und Pressearbeit.
Bilder: Rainer Konszek, Halil Özet
• Bei den Helden von Marxloh, Moritz von Uslar am 17. Mai 2017 für DIE ZEIT
• Interview Deutschlandradio anlässlich des Besuchs von Angela Merkel am 25.8.2015 in Marxloh:
• Interview WDR Lokalzeit anlässlich einer Foto-Ausstellung im Stadthistorischen Museum, 8. Dezember 2014:
WDR Lokalzeit, Dezember 2014 from Nina Kradepohl on Vimeo.
• Street Art Aktion zum Thema Weinachtsbeleuchtung.
• Erstellung einer Website für die Brautbodenmeile Marxloh.biz.
• Fotoausstellung Grenoble.
• Eröffnung der Villa Marxloh.